Leverkusen 2007. Es muss Ende Mai gewesen sein, als mein Freund Nils Winter mich fragte: „Hab am Wochenende ein Meeting in Hengelo und mein Trainer kann nicht mit. Willst du mich begleiten?“. Nils war damals schon mehrfacher Deutscher Meister und Olympiateilnehmer im Weitsprung und ich hatte eigentlich wenig Ahnung in dieser Disziplin. 

„Nur ein wenig Zwischenmarke schauen und wie ich am Balken bin“, meinte er. Ich wusste weder wie ich ihm weiterhelfen könnte, noch was eine Zwischenmarke war.

Hengelo. Ein paar Tage später. Der Weitsprung Wettkampf war in vollem Gange. Direkt vor der ausverkauften Gegentribüne sprangen die besten Athleten der Welt um die Wette. Mittendrin Nils und mittendrin ich. Nach fünf Versuchen lag Nils am Ende des Feldes und irgendwie hatte ich den Anschein, dass hier irgendwas nicht stimmte. Zu behäbig im Anlauf. Zu inkonsequent in der Absprungvorbereitung. Einfach alles mit ein wenig Handbremse angezogen. So konnte man nicht weit springen. Neben mir saß Peter, ein weiterer Freund, der ebenfalls nach Hengelo gekommen war. Er sprach aus, was ich die ganze Zeit dachte „der muss mal wach werden“. Einen Augenblick später stand ich auf und schrie Nils an. „Was er denn da mache? Was dieser totale Schwachsinn hier soll? Endlich mal richtig anlaufen und nicht so zögernd! Jetzt. Beim letzten Versuch. Verdammt nochmal. JETZT!“. Nils stand unten wie ein begossener Pudel. Und erst als ich aufgehört hatte zu schreien merkte ich es. Stille. Die ganze Gegentribüne war still. Alle Augen auf mir und auf meinem Freund Nils. Was hatte ich getan? Ich, sein Freund. Keine Ahnung von Weitsprung. Keine Ahnung vom Spitzensport auf internationaler Bühne Völlig ahnungslos wie ein Athlet auf diesem Niveau angesprochen und betreut werden muss. Ich setzte mich ein wenig unsicher wieder auf meinen Platz. Der Wettkampf ging weiter und einige Zeit später war Nils ein letztes Mal an diesem Tag an der Reihe. Sein Anlauf, um Welten besser. Der Absprung endlich mal durchgezogen. Brett getroffen. Geflogen. Und? Weitester Sprung des Tages für ihn und einige Plätze Verbesserung.

Eine Stunde später trafen wir uns an einem Ort hoch oben auf der Tribüne etwas Abseits vom Trubel. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte sein Vater an diesem Tag Geburtstag. Seine Mutter hatte Kuchen dabei. Ein Ritual, welches ich noch so oft in den kommenden Jahren genießen durfte. Als aller Erstes entschuldigte ich mich bei meinem Freund. Ich sagte, dass es mir leid tat und dass es dumm war. Dass ich mir sowas nicht rausnehmen könne. Nils saß mir gegenüber und hörte zu. Am Ende sagte er: Hey, danke dir. Das war genau das, was ich heute gebraucht habe.

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