Lebensläufer

Mit 86 hat man noch Ziele

Horst Liebing

Horst Liebing ist mehrfacher Deutscher Meister über die Halbmarathon und Marathon Distanz in unterschiedlichen Alterklassen. Er hält zahlreiche Lande- und Kreisrekorde und ist zudem der amtierende Deutsche Meister über die Halbmarathondistanz in der Altersklasse M85. Im kommenden April möchte er seinen Titel in Freiburg verteidigen. Ein offenes Gespräch über die Anfänge seines Lebens, wie er selber zum Laufen kam, mit über 70 Jahren sein erstes Rennrad kaufte und wie es weitergeht. Eine Unterhaltung über Leben, Laufen und Liebe.

 

Ich kenne Horst Liebing schon seit vielen Jahren. Man sieht sich auf Wettkämpfen und in den letzten Jahren auch immer öfter bei meinen Moderationen von Laufveranstaltungen und dort insbesondere bei den Siegerehrungen. Horst steht eigentlich immer ganz oben. Die anderen? Entweder weit hinter ihm, schon nicht mehr am Start, oder schon längst nicht mehr auf dieser Welt zu Hause.

 

Horst Liebing geht in seine 86. Saison seines Lebens. Er hat viel gesehen. „Das Pferd war zu meiner Jugend noch das hauptsächliche Fortbewegungsmittel“. Pferde?
„Wir waren als Familie relativ reich und hatten schon ein Auto. Wenn man damals auf der Autobahn fuhr, dann waren wir das einzigste Auto weit und breit“. Einzigstes Auto weit und breit?
Ich merke sofort, dieser Mann durfte in seinem Leben bis heute verändernde Welten kennenlernen. Nach dem Studium fängt er bei Volkswagen als Ingenieur an zu arbeiten.
„Eigentlich musste ich damals nicht so viel technisches Wissen haben, sondern ich hab mit ganz vielen unterschiedlichen Leuten zu tun gehabt und meine Aufgabe war sie zu motivieren schneller zu arbeiten“. Da macht es bei mir Klick. Motivation. Und wie hast du das erreicht? Seine Antwort ist so einfach, wie ungewöhnlich. „Abteilungsfeste und Alkohol. Meine Abteilungsfeste dienten dazu die Leute für mich zu begeistern. Dabei bin ich fast selbst zum Alkoholiker geworden“. Horst Liebing lacht. Ein verschmitztes Lachen. Er erzählt weiter von VW, und dass der Golf eigentlich eine italienische Erfindung war, die Volkswagen einfach abgekupfert hatte. Liebing ist schon damals ein Visionär. Er glaubt nicht so sehr, an das einfache Auto. Vielmehr fasziniert ihn ein neues Produkt - der Computer. Um das Jahr 1966 muss dies gewesen sein. Die breite Öffentlichkeit wusste noch nicht einmal, dass es so etwas gab. Man war froh, wenn man einen Fernseher hatte. Horst Liebing wechselt den Job und zieht in den Schwarzwald. IBM, die Firma mit der Biene im Namen sollte sein neues zu Hause werden. Auch sein neues „Lauf Zu Hause“. Mit dem Laufen beginnt Liebing früh. Schon im Jugendalter, doch zum regelmäßigen Training kommt es so richtig erst bei seiner neuen Firma. Er schließt sich einer Laufgruppe an und trainiert unter der Woche noch wenige Male alleine. „Die Arbeit war unheimlich hart. Viele Termine. Oft im Ausland“. Schnell kommt Liebing vom regelmäßigen zum unregelmäßigen Laufen. Wettkämpfe gab es nur noch ab und zu.

Medallien von Horst Liebing

Laufschuhe von Horst Liebing

In der damaligen Zeit, Ende der 80 iger Jahre, kennen die Deutschen Bestenlisten den Namen Horst Liebing nicht. Dies ändert sich erst ein paar Jahre später. Liebing ist fasziniert von Triathlon. Die Sportart steckt in den Kinderschuhen. Triathlon kennen in Deutschland 1990 nur wenige. Für Liebing hingegen ist klar, er will Triathlon machen. Einziges Problem, er kann nicht Kraul schwimmen. Er wird beim Bademeister der Stadt Calw, Horst Fricke vorstellig und geht von nun an Samstags in einen Kraul Technik Kurs. „Ich hab so gut es geht mitgemacht und manchmal hab ich auch die Flossen anziehen müssen, damit ich überhaupt hinterher komme“. Und Liebing lernt Kraulschwimmen - mit 65 Jahren. Mit über 70 kauft er schließlich sein erstes Rennrad. „Gleich mit Klick-Pedalen. Ein paar Mal bin ich umgefallen, das passiert halt. Hauptsache nicht auf den Randstein“. 2006 macht er seinen ersten Teil-Triathlon in einer Familienstaffel. Er übernimmt den Radpart. 180km. „Ein gutes Training“. Liebing macht seine ersten Triathlonwettkämpfe, insbesondere auf der Olympischen Distanz und ein paar Starts auch auf der Mitteldistanz. Bei der Challenge Kraichgau gewinnt er am Ende seine Altersklasse auf der Halbdistanz. Das passiert gut 10 Jahre nachdem er seine ersten Züge im Kraulstil im Calwer Hallenbad gemacht hat. Horst Liebing ist damals schon über 75 Jahre alt. Der Traum einmal im Leben bei einem Ironman zu starten, erfüllt sich hingegen nicht. „Das ist etwas, was ich heute anders machen würde. Wenn ich nochmal in den Jungbrunnen fallen würde, dann wäre ich bereit darauf mehr hinzuarbeiten“. Stattdessen widmet er sich immer mehr der Lauferei und lernt im Lauftreff seines damaligen Heimatortes Altburg Elke kennen. Die beiden laufen miteinander und bald kommt man sich näher. Nachdem seine erste Frau einige Jahre vorher gestorben ist, verliebt sich Liebing im Alter von 77 Jahren erneut. Acht Jahre später heiraten die beiden. „Wir wollten das verflixte siebte Jahr abwarten“. Horst Liebing lacht. Neben mir sitzt ein Mann der durch und durch Positives ausstrahlt. Wir unterhalten uns weiter über sein Training, über Intervalle, Tagesform und was ihn antreibt, überhaupt raus zu gehen und zu Laufen. Was es für ihn bedeutet an Wettkämpfen teilzunehmen und sich zu messen.

Das Leben ist endlich, das wissen wir alle. Horst Liebing hat eine klare Einstellung auch für das Ende des Lebens. „Mein Motto ist Hoffnung statt Glaube. Ich hoffe einfach, dass es mir im Jenseits nicht zu schlecht geht, denn ich bin kein Gutmensch. Wenn ich ein Gutmensch wäre, dann würde ich hier Open House für Asylanten und andere machen, aber das mach ich nicht“. Diese ehrliche Aussage überrascht. Es gibt niemanden der von Horst Liebing behaupten würden, dass er kein guter Mensch sei. Er sieht dies anders. Er sieht seinen Egoismus und denkt, dass dies nicht gut ist. Schon alleine diese Einsicht hat er vermutlich vielen anderen voraus. Die Hoffnung auf etwas Gutes nach dem Tod ist trotzdem vorhanden, aber an den Tod denkt Horst Liebing nur manchmal. Er hat immerhin noch einiges vor. Deutscher Meister im Halbmarathon 2020 und seinen Titel verteidigen und andere schöne Wettkämpfe. Und sein wichtigstes Ziel „Alt werden mit Elke. Diesen Traum hab ich noch und bin dabei ihn zu leben“.


Nach unserem Gespräch zeigt Horst Liebing mir noch seine Wohnung und ein paar ausgewählte Medaillen. Eine hängt an der Treppe.
„Ach, das ist nur, dass sich an der Kante niemand den Kopf stößt“. Er lacht wieder. Es ist wieder dieses positive Lachen. Ein wenig, wie das Lachen eines Kindes. Horst Liebing schaut nach vorne, nie zurück, das hat er mehrmals in unserem Gespräch gesagt. Wir plaudern noch ein wenig, bevor ich mich von ihm und seiner Frau verabschiede. Am Ende bleibt mir ein Gedanke, den ich am Anfang unseres Treffens bereits hatte. Ich kenne Horst Liebing schon seit vielen Jahren. Dachte ich.

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